Donnerstag, 2. Oktober 2014

Kunst und Pornographie im Recht

Das Bundesverfassungsgericht genießt weithin den Ruf eine recht liberale Rechtssprechung zu verfolgen. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist das Urteil zum Roman "Josefine Mutzenbacher - Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt", in dem sich das Bundesverfassungsgericht mit Kunst und Pornografie beschäftigten musste.
Bevor auf das Urteil und seine Begründung eingegangen wird, soll an dieser Stelle erst einmal in den Roman als solchen eingeführt werden.

Der Roman Josefine Mutzenbacher

Der Roman erschien erstmals 1906 im Privatdruck in Wien. Der Autor ist unbekannt, vermutet wird jedoch, dass es sich um eine Schöpfung von Felix Salten handelt, der spätere Verfasser der Kinderbuchs Bambi, Vorlage für den bekannten gleichnamigen Walt Disney Film.

Anstatt auf den Inhalt abstrakt näher einzugehen, veröffentliche ich an dieser Stelle stattdessen eine Leseprobe aus ungefähr der Mitte des Buches. Aus Rücksicht auf das sittliche Anstandsgefühl der Leser dieses Blogs, veröffentliche ich keinen Abschnitt in dem, wie in weiten Teilen des übrigen Buches, die sexuellen Erfahrungen der Ich-Erzählerin als Minderjährige beschrieben werden, stattdessen der heimlich beobachtete Koitus der Mutter mit einem Untermieter:

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Es wird schnell deutlich, dass es sich bei diesem Roman um einen mindestens überwiegend pornografisches Werk handelt. Die kinderpornografischen Aspekte sind übrigens strafrechtlich vorwiegend irrelevant, da es sich bei nicht illustrierten Texten um keine Kinderpornografie im Sinne des deutschen Strafrechts handelt (vgl. zuletzt BGH, Az 1 StR 8/13).

Die Vorgeschichte zum Urteil

Nachdem in den 60er Jahren der Roman von von zwei Strafgerichten für unzüchtig erklärt hatten, indizierte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften den Roman. 1979 nahm der Rowohlt Verlag Josefine Mutzenbacher in sein Programm auf und beantragte bei der Bundesprüfstelle die Listenstreichung mit dem Argument, dass nach heutiger Auffassung der Roman ein Kunstwerk sei. Die Bundesprüfstelle war der Ansicht, dass der Roman schwer jugendgefährdend sei, da er Kinderprostitution und Inzucht positiv beurteile. Da die Probleme von Pornografie und Inzest nicht künstlerisch verarbeitet würden, sondern lediglich zur Verschärfung des Reizes eingesetzt würden, sei der Roman nicht als Kunstwerk zu begreifen.

Dagegen klagte der Rowohlt Verlag und unterlag in allen verwaltungsgerichtlichen Instanzen. Der Verlag erhob deshalb Verfassungsbeschwerde und hatte Erfolg.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 83, 130)

Das BVerfG ging davon aus, dass nicht bereits die Eigenschaft als Roman ein Werk zur Kunst werden lasse.
Das Werk weiße als Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung die grundsätzlichen Merkmale eines Kunstwerkes auf, in der die Eindrücke, Erfahrungen und Phantasien des Autos verarbeitet wurden. Als Elemente schöpferischer Gestaltung wird die Verwendung wienerischer Vulgärsprache als Stilmittel anerkannt. Im Gegensatz zur Bundesprüfstelle, will das Bundesverfassungsgericht durchaus auch parodistische Elemente bei der Lektüre des Werks festgestellt haben. Das Werk als Ganzes könne als Parodie auf den Entwicklungsroman aufgefasst werden. Ebenso erkennt das Bundesverfassungsgericht in der vulgären und perversen Art der Schilderungen einen Protest gegen eine Erziehung, die zum Ziel die Unterdrückung des Geschlechtlichen hatte. Damit erkennt das Bundesverfassungsgericht an, dass Kunst auch Gegenkultur sein kann.

Exkurs: Der Kunstbegriff des BVerfG als liberales Gegenmodell zum modernen Kulturschaffenden

Die Bundesverfassungsrichter sind Anfang der 90er Jahre bereits weiter gewesen, als heutige Künstler, die wieder den alten Begriff des Kulturschaffenden, der vor allem im Nationalsozialismus und der DDR Verwendung fand, um eben gerade unerwünschte Gegenkultur vom Begriff auszuschließen. Die Selbstbezeichnung als Kulturschaffende seitens vieler Künstler, soll deren Staatstreue hervorheben. Sie versuchen sich in vorauseilendem Gehorsam den jeweils Herrschenden nützlich zu machen, da sie genau wissen, dass ihre künstlerische Existenz vom wohlwollen derer abhängt, die über die öffentlichen Fördermittel entscheiden.
Man kann also sagen, dass der verfassungsrechtliche Kunstbegriff wesentlich umfangreicher ist, als der Kunstbegriff, den viele Künstler für sich selbst in Anspruch nehmen wollen, wenn sie sich, wie heute üblich, als Kulturschaffende bezeichnen.

Der Verhältnis von Kunst und Pornographie

Ein häufig gelesenes Missverständnis über das Mutzenbacher-Urteil ist die Annahme, dass auch Pornografie Kunst sei. Dies hat das Bundesverfassungsgericht aber nie festgestellt. Wörtlich hat das Bundesverfassungsgericht vielmehr ausgeführt:
"Daß der Roman möglicherweise zugleich als Pornographie anzusehen ist, nimmt ihm nicht die Kunsteigenschaft."
Als zentrale Erkenntnis des Urteils bleibt also festzuhalten: Pornographie ist also nicht grundsätzlich Kunst. Pornographie kann aber durchaus Kunst sein.

Die Kunstdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Das BVerfG legt wert darauf, dass es keine staatliche Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle hinsichtlich des Kunstbegriffs geben dürfe. Kunst sei demnach formal zu bestimmen. Die Definition, oder eher nicht-Definition, des Kunstbegriffs, ist vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfGE 67, 213 "Anachronistischer Zug" entwickelt worden. Danach kann es keinen einheitlich geschlossenen Kunstbegriff geben, sondern es sei für jede künstlerische Gattung ein eigener Begriff dafür zu entwickeln, was unter dem Wort Kunst aufgefasst werden könne.

Auch wiederholt das Bundesverfassungsgericht, dass es für die Eröffnung des Schutzbereiches der Kunstfreiheit nicht auf die Beurteilung der Wirkungen des Kunstwerks ankommen dürfe. Dass ein Werk also den sittlichen Vorstellungen der Mehrheitsbevölkerung widerspricht, ist höchstens hinsichtlich der Rechtsfolge, insbesondere der Verhältnismäßigkeit und dem Ausgleich kollidierender grundrechtlich geschützter Interessen im Wege der praktischen Konkordanz relevant.

Conclusio

Das Bundesverfassungsgericht ist hinsichtlich der Definition des Kunstbegriffs stets bemüht diesen möglichst weit zu fassen. Deshalb legt sich das Bundesverfassungsgericht meist nicht positiv fest und hat bis heute keine einheitliche Kunstdefinition festgelegt. Wichtiger sind die Wegmarken, die das Bundesverfassungsgericht dabei setzt, was nicht herangezogen werden darf um einem Werk den Kunstbegriff abzusprechen. 

Dabei setzt sich das Bundesverfassungsgericht bewusst der Tradition der Reichsschriftsumskammer wie auch der Zensurbehörden des Kaiserreichs entgegen, die Kunst vom ihrem Inhalt her bestimmen wollten und gleichsam einer Qualitäts- und Sittlichkeitskontrolle unterzogen.

Das Bundesverfassungsgericht versucht die Sphäre der Kunst und die Sphäre des Staates so weit wie möglich auseinander zu halten, da es die Rolle der Kunst als Gegenkultur für die dynamische Weiterentwicklung einer freiheitlich verfassten Gesellschaft für absolut notwendig erachtet.

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